Stellung im Kirchenjahr:
Der Sonntag fällt in den Zeitraum, in dem die meisten Gemeinden Erntedank thematisieren, im
weiteren Rahmen in die "Zeit der Schöpfung", die in ökumenischer Verantwortung vom 1. September
bis zum Gedenktag des Hl. Franziskus am 4. Oktober begangen wird. Vom Engelmotiv im
evangelischen Predigttext könnte eine Brücke zur römisch-katholischen Tradition geschlagen
werden, die den Monat September mit der Verehrung der Engel überhaupt verbindet.
Exegetische Anmerkungen
Apg 12,1-11:
Die Perikope thematisiert die Verfolgung der Christen durch Herodes und die Hinrichtung des
Jakobus, danach die Festnahme und die wunderbare Befreiung des Petrus. In Anspielungen auf den
Zeitpunkt der Befreiung (Pascha, Nacht) und Elemente der Paschafeier (Gefangenschaft,
Sich-Gürten, Eile) sowie die narrative Struktur ist die Erzählung vom Exodusmotiv geprägt. So
manifestiert die Befreiung des Apostels das leidenschaftliche Engagement Jahwes, rettend in die
Geschichte einzugreifen.
Weish 2, 1a.12.17-20:
Der Gerechte stört die Verhältnisse, weil er durch seine sittliche Beharrlichkeit das
Bewusstsein der Allgemeinheit für das Recht fördert. Er ist "unbequem" (vgl. Jes 3) und muss
weg, um den an der Erhaltung des Status quo Interessierten nicht weiter bedrohlich zu sein.
Diese reden zwar davon, den Gerechten - auch was sein Ziel und seine Vorgehensweise anbelangt
- "auf die Probe zu stellen" (vgl. Jes 53), gehen aber im Grunde davon aus, dass sein
Gottvertrauen keine Rettung bringt. So entlarven sie sich als in der Immanenz gefangene
Atheisten.
Jak 3,16-4,3:
Es spricht einiges dafür, Weisheit im Verständnis des Jak als Lebensklugheit oder gar -kunst zu
übersetzen, die man sich nicht erarbeiten oder ein für allemal erlernen kann. Jak begreift sie
als je neu zu erbittende Gabe, welche Sanftmut, Fähigkeit zu angemessener Kritik an Mißständen
und Tatkraft verleiht. Sie ist von Gott geschenktes Heilmittel, Leidenschaften zu zügeln,
Streit zu überwinden, letztlich Frieden und Gerechtigkeit den Weg zu bereiten.
Mk 9,30-37:
Während Jesus seinen Weg mit Blick auf den bevorstehenden Konflikt, auf Leiden und Tod geht,
offenbaren die Gespräche der Jünger, dass sie noch immer nicht bei Jesus angekommen sind.
Demonstrativ begibt sich Jesus deshalb in die Haltung des Lehrers und betont, wie sehr sich
seine Zuwendung auf die Kleinen und Geringen richtet. Mit dem vierfachen déchomai (aufnehmen,
annehmen, empfangen) in V. 37 unterstreicht Mk, welche Sorge die Gemeinde den Schutzlosen und
Armen schenken muss. Erst und nur durch ihre diakonische Gesinnung und ihr solidarisches
Handeln wird sie Zeichen und Werkzeug des Reiches Gottes.
Predigtskizze
Der Einsatz für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, das Reich Gottes überhaupt fordert
Gegnerschaft heraus (Weish; Apg). Denn "das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend
immer Böses muß gebären" (Friedrich von Schiller, Die Piccolomini V,1.). Die Ablehnung des
sittlichen Guten richtet sich dabei nicht nur auf die Ziele der Engagierten, sondern auch auf
deren Vorgehensweise, auf ihren gewaltlosen Einsatz, ihre Sanftmut, ihre Geduld. Im Hintergrund
dieser Opposition stehen ungezügelte Leidenschaften, die in Streit münden und durchaus die
Gefahr in sich tragen, dass sich die zuvor Guten unangemessen zur Wehr zu setzen und sich am
Ende mit den "Bösen" auf derselben moralischen Stufe wiederfinden.
Deshalb gilt es, die Ablehnung und die Ablehnenden in ihrer Motivation zu entlarven, und
gleichzeitig selbst den gebotenen Zielen und dem guten Stil treu zu bleiben. Nötig ist dazu
die "Weisheit von oben", die wir umso mehr gewinnen, je mehr wir in die Schule Jesu gehen und
von ihm lernen, worauf es wirklich ankommt.
Eine stetige Besinnung auf Gottes Leidenschaft für seine Schöpfung und unser sich daraus
ergebendes Engagement ist umso wichtiger, als der Einsatz für die Ziele, die Gott für seine
Schöpfung verfolgt, nicht nur auf Opposition im Äußeren stößt. Jak und Mk weisen auf
Hindernisse hin, die aus unserem Inneren stammen, vor allem auf den zerstörerischen Vergleich
mit Anderen, die teuflische Frage nach Rang und Verdienst. Aber nicht, was ich habe oder
bekommen will, zählt, sondern was ich zu geben bereit bin.
In Achtsamkeit, Abkehr und Umkehr äußert sich unser Befreitsein durch Jahwe, antworten wir auf
seinen Anspruch an uns: seine Herausforderung, uns immer mehr einzusetzen für die Schwachen und
Schutzlosen, seine Herausforderung an die Kirche, immer mehr ein Netzwerk der
Aufnahmebereitschaft, der Gastfreundschaft zu werden und darin das Reich Gottes in der Welt
spürbar und erfahrbar werden zu lassen.
Bezüge zur Nachhaltigkeit, Beispiele zur Umsetzung und weitere Kontexte
-
Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit als Gottes Wünsche für die Schöpfung (Weish 2; Jak 3;
Apg 12)
Von Jahwe reden heißt deshalb, in der biblischen Tradition von wahrhaft befreienden und
erlösenden Erfahrungen erzählen. Da Jahwe aber zugleich - linguistisch - ein Kurzsatz mit
offenem Prädikatsattribut (er erweist sich als...) ist, verlangt er geradezu die
Konkretisierung durch Erfahrung und ist zugleich offen für jeweils neue Einzelerfahrungen, in
denen sich die Grunderfahrung erneuert und vitalisiert: überall und nur dort, wo Freiheit und
Leben "erfahren" wird, wird die Wirklichkeit "jahwe" erfahren.
Weimar, P./Zenger, Erich: Exodus. Geschichten und Geschichte der Befreiung Israels = SBS 75
(1975) 97
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Ein guter Stil - Sanftmut, Geduld, gewaltfreier Einsatz (Weish 2; Apg 12)
Gott öffne unsere Herzen für seine uralte und täglich neue Botschaft -
Er öffne unsere Ohren für sein Wort wo immer es uns sucht -
Er öffne unsere Augen für die Schönheit seiner Schöpfung und das Lied der Geschaffenen -
Er öffne unsere Hände, um die zu fassen, die sie ergreifen wollen -
Er öffne unsere Lippen zu einem guten Wort und zu neuen Liedern für ihn.
Gott stärke unsere Füße, unseren Weg zu gehen
an diesem Tag und an jedem Tag den er uns noch schenkt
an seiner Seite unter seinem Segen.
Wilma Klevinghaus, in: Schmeisser, Martin: Gesegnetes Leben, 20045
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Abkehr vom Verdienstdenken (Jak 4; Mk 9)
wenn du Gott vertraust seiner Zusage
Glaubst den nächsten Schritt wagst
ohne zu ahnen wohin der Weg führt
ohne zu wissen wie das Ziel heißt
nur von Hoffnung und Sehnsucht getrieben
dann wirst du achtsam bleiben
wach mit allen Sinnen suchen und sein
und dankbar für Zeichen und Worte und staunen darüber
wie sich Schritt für Schritt
ein Weg ergibt sich das Ahnen verdichtet
der Boden trägt und zum Quellgrund wird
Aus: Andrea Schwarz: Und jeden Tag mehr leben, 2004
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Einsatz für Schutzbedürftige (Mk 9)
PREDA (People' Recovery, Empowerment and Development Assistance), Partnerorganisation der
Caritas Schweiz Foundation, wurde 1974 in Olongapo City, Philippinen, gegründet. Auf dem
Hintergrund der Missachtung von Kinderrechten speziell durch sexuelle Ausbeutung, zielt PREDA
auf geschützte Orte vor allem für Mädchen und für eine längerfristige therapeutische Behandlung
und Rehabilitation.
Maximal 50 sexuell ausgebeutete Mädchen sowie 20 Minderjährige,die als Prostituierte arbeiten
mussten, werden pro Jahr in zwei separaten Schutz bietenden PREDA Zentren aufgenommen und
betreut mit dem Ziel, in ihre Familie zurückzukehren, falls die familiären Bedingungen dies
erlauben. Durch nicht-formale Bildung werden die Mädchen auf den Wiedereintritt in formale
Bildungseinrichtungen vorbereitet. Mädchen, die vor Gericht gegen ihre Ausbeuter vorgehen
wollen, werden juristisch und psychologisch unterstützt. Die Knaben erhalten die Möglichkeit,
ihre traumatischen Erlebnisse durch therapeutische Betreuung aufzuarbeiten sowie eine ihren
Fähigkeiten und ihrem Alter entsprechenden Ausbildung und Erziehung.
Im Nachsorgeprogramm werden im Schnitt 100 Mädchen und Knaben sowie ihr Umfeld während eines
Jahres durch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen von PREDA begleitet. Die Eltern oder die
Betreuungspersonen werden bei einer verantwortungsvollen Fürsorge unterstützt. PREDA übernimmt
weiterhin die Kosten für die Schulbildung der Kinder aus armen Verhältnissen und die
erwachsenen Betreuungspersonen können am einkommensschaffenden PREDA-Programm " Handel und
Entwicklung der Lebensbedingungen" teilnehmen.
http://www.youngcaritas.ch/page.php?pid=2120
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